Der pädagogische Blick

Der pädagogische Blick

Der Blick des Erziehers/der Erzieherin (die einfühlende Beziehung oder Empathie als Bildungsziel)

„Das erzieherische Handeln geht von einem Blick aus, der die Gruppensituation aber auch die des Einzelnen in seinen Bedürfnissen, Fähigkeiten, Unzulänglichkeiten, noch nicht erworbenen Kompetenzen zu erfassen weiß. Die immer neue und sich ständig verändernde reelle und komplexe Lebenssituation des Heranwachsenden ist der Ausgangspunkt pädagogischer Arbeit.[1] Ein sog. „pädagogischen Blick“ umfasst neben psychologischen Kenntnissen über die Entwicklungsstadien des Kindes und Jugendlichen auch eine soziologische Analyse der Lebenswelten. Wir können im Dialog mit den Kindern versuchen, sie zu verstehen. Dieses gelingt u.E. in dem Maße, in dem es dem Erzieher/der Erzieherin gelingt, sich in die Situation des/der zu Erziehenden hinein zu versetzen, seine/ihre Anliegen und das, was ihn/sie bewegt uns zu eigen zu machen.

Die Sichtweise eines Erziehers/einer Erzieherin ist ein Blick, der in der Lage ist, die Einzigartigkeit, die menschliche Qualität jedes Einzelnen, seine/ihre Befindlichkeiten und die Komplexität des Erziehungsvorgangs selbst zu erfassen. Es handelt sich um eine Einstellung (Blick), die „Beziehung“ ist, denn der Erzieher/die Erzieherin zeigt Interesse mit aufmerksamer Fürsorge.“[2]

Dieser Blick „von oben“, der ein „Einheit gebender“[3] ist, „erfasst ganz neu (…) das in jeder Person und Situation befindliche Potenzial und ermöglicht, die Größe jeder Person“[4] zu erahnen, zu erkennen und zu fördern.

             Heidegger definiert die erzieherische Beziehung als einen Blick, der „mit Zärtlichkeit umgibt“. Er verzichte nach de Beni auf jeden Zwang und Belehrung, um in erster Linie in sich selbst leer zu werden. Er fördere eine erzieherische Beziehung, die einen annehmenden Raum entstehen lasse, der von Natur aus erzieherisch sei, der es erlaubte, wie die Ethymologie sagt, zu “er-ziehen“, heraus zu ziehen (lat. educare). Nimmt sich der Erzieher so weit zurück (Lubich spricht vom „sich leer machen“), entstehe eine Atmosphäre, ein Raum, in dem der zu Erziehende frei ist, sich darzustellen, zu vertrauen, Fragen zu stellen und sich selbst zu fragen, in dem sich seine Fähigkeiten entfalten können. Es handele sich nicht um eine einfache Option der Toleranz, sondern um eine Grundhaltung, die Dialog ermögliche, die Problemstellung, Vorschläge, aber auch Kritik und die nötige Korrektur erlaube, jenseits einfacher Laisser-Faire-Formen.[5]

„Wer mit Kindern zu tun hat, benötigt einen pädagogischen Blick,“ sagt Lenzen. Er bezeichnet diesen Blick als „soziales Wahrnehmungsvermögen“ oder als „Sensibilität für Situationen“, als „Wahrnehmung des anderen in seinen Lebenslagen“, das den Erzieher in die Lage versetzt, den Heranwachsenden in seinen Befindlichkeiten anzunehmen. Diese empathischen Fähigkeiten besitzen nicht alle Menschen. Sie sind keine Naturgabe, sondern „Teil der Professionalisierung“, ein „Bestandteil der Intellektualität“, erlernbar und konstitutiv für den Erziehungserfolg.“

Diese pädagogische Kompetenz definiert Lenzen als „ästhetisches Urteil“, eine von drei kantschen Urteilsfähigkeiten. Jeden Tag sollten pädagogische Akteure einen Blick dafür haben, was sie von anderen ihnen anvertrauten Personen verlangen, ob sie leiden oder zufrieden sind und von dieser Orientierung her das Maß ihrer Erwartungen ableiten. Zur Realisierung dieser Haltung und dieser Art von Beziehungen sei eine Erneuerung der pädagogischen Berufung des Erziehers notwendig.[6]

[1] vgl. eduforunity.org, /index.php/attivita/40-studiprogettiesperienze/relazioni/relazioni-di-congressi/dallaframmentazione-allunita: Dalla frammentazione all’unità, lo sguardo dell’educatore. Lo sguardo dell’educazione. Spunti di riflessione, Roma 1995.

[2] vgl. eduforunity.org, ebd.

[3] Der Forderung nach einer „Einheit gebenden Theorie“ wird u.a. von Mertens et.al. nachgegangen in: Handbuch der Erziehungswissenschaft, Schöningh 2008, Bd. 1, S. 479ff.

[4] Boi, Teresa: Il guardare oltre dell’Educatore, convegno 2013, Intervento Scienze dell’educazione, del 15 febbraio 2013 (13.936), S. 4.

 

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