Pisa-Studie 2019

Pisa-Studie 2019

Statement zur neuen PISA-Studie

Schon wieder ein Pisa-Schock? Sind die Lese- und Rechenleistungen unserer Schülerinnen und Schüler wirklich derart „beunruhigend“ und „besorgniserregend“ wie in Veröffentlichungen beschrieben (s. Zeit Nr. 51, S.47)?  Von „größten Bildungsproblemen“, „Bildungsarmut“ und „Kompetenzverlusten“ ist die Rede. Die „Zukunftsarmut“ bedrohe unsere Republik, „die pädagogischen Fortschritte in der Schule seien gefährdet. Und – am Schlimmsten ist die Kategorisierung der Schülerinnen und Schüler in „Risikoschüler“ und „schwache Schüler“. Das erinnert mich an den Begriff „der schlechte Schüler“ aus dem Pädagogikstudium, der aufgrund seiner Einstufung von vornherein keine Chance erhielt, sich zu profilieren, weil er einmal diesen Stempel aufgedrückt bekam. Diese Zeiten einer von Vorurteilen geprägten Pädagogik seien bereits in den 70er Jahren des vergangenen Jahrhunderts hinter uns, dachten wir jedenfalls naiv als frisch gebackene Lehrerinnen und Lehrer und stürzten uns in das Abenteuer Gesamtschule, die Chancengleichheit, später Chancengerechtigkeit versprach. Kann man nicht dankbar, stolz und froh auf 40 Jahre Gesamtschulerfahrung zurückblicken, in denen während jeder Unterrichtsstunde gerade und besonders auf diejenigen Kinder und Jugendlichen geachtet wurde, die in der Schule mit Schwierigkeiten zu kämpfen hatten, aus welchen Gründen auch immer. Die Kolleginnen und Kollegen, die sich gerade für Schülerinnen und Schüler in besonderer Weise in Einzel- und Elterngesprächen, Vermittlung von sozialpädagogischer sowie psychologischer Betreuung, usw. einsetzten, wurden krank. Die einzige Kollegin, der es während meiner gesamten aktiven Laufbahn gelang, dass alle Schülerinnen und Schüler ihrer Klasse einen Abschluss bekamen, wurde so krank, dass sie vorzeitig unfreiwillig aus dem Dienst entlassen werden musste.  Ganze Generationen von Lehrerinnen und Lehrern wurden von den Schulverwaltungen verschlissen, von einer Reform in die andere gejagt, ganz besonders nach der ersten PISA-Hysterie  vor ca. 20 Jahren. Wer erinnert sich nicht an Klippert? Fast flächendeckend wurde „geklippert“, an Wochenenden das gesamte Kollegium geschult. „Die einzige Reform, die der Senat noch finanziert“, hieß es, als das „einzig Wahre“ wurde diese Methode angepriesen. Dass das Ganze schief laufen würde, erkannten damals diejenigen, die sich nur ein wenig mit BWL befassten. Ökonomische Grundprinzipien einfach auf das System Schule zu übertragen, funktioniere nicht, wurde argumentiert. Die Schulverwaltungen stellten sich taub. Unterricht soll sich ändern, wird gefordert, schon wieder. Wie so oft, ist Schulpolitik auch in unserer Demokratie immer noch ideologisch verseucht. Schulleben und Lernbereitschaft entsteht nicht am grünen Tisch, sondern immer in Beziehungen. Wichtig sind und bleiben die Kinder und Jugendlichen. Ihnen muss unsere ganze Aufmerksamkeit, unser ganzes Engagement, aber auch unsere Anerkennung (s. Prengel u.a.) und vor allem Wertschätzung zukommen. Auch Fächer wie Biologie, Erdkunde, Musik Kunst und Sport sind wichtig. Emotionale und soziale Kompetenzen erhalten in den vergangenen Jahren in vielen Veröffentlichungen eine größere Aufmerksamkeit. So etwas können jedoch empirische Untersuchungen nicht erfassen. Deshalb wird die PISA-Studie zu Recht als einseitig und tendenziös auch von namhaften Experten eingestuft. Finnland taugt nicht als Referenz, weil dort viel weniger zugewanderte Menschen leben als in Deutschland. Das gilt natürlich auch für den Vergleich schulischer Einrichtungen. Wenn aber gefordert wird, dass jedem Schüler, jeder Schülerin beim Verfehlen von Mindeststandards wie in Finnland ein Tutor zur Seite gestellt werden soll, so ist diese Forderung schlicht unrealistisch, wenn noch nicht einmal genug Geld und Personal für dringend notwendigen Aufgaben von Schule wie z.B. Die Aufrechterhaltung des Unterrichtsbetriebs zur Verfügung gestellt wird, von einer sinnvollen Förderkultur ganz zu schweigen. Schleicher von der OECD fordert verstärkt Kooperation. Zwischen den Verwaltungen und den Schulen, das gilt aber auch für Schulleitungen und Kollegium genauso wie für die Kolleginnen und Kollegen untereinander und nicht zuletzt unter den Schülerinnen und Schülern. Diese Kompetenz wird auch in der Wirtschaft immer mehr eingefordert, kann jedoch  in empirischen Tests nur sehr schwer erfasst werden.

   Man kann schon die Heerscharen von schnaubenden Schimmeln am Horizont erblicken, deren Reiter  wieder die Reformkeulen schwingen. Wen wundert, dass so wenig junge Menschen den Lehrerberuf ergreifen wollen? DDR-Verhältnisse, wo die Lehrerinnen und Lehrer in den großen Sommerferien und darüber hinaus in ihrer Freizeit zu Förderunterricht verpflichtet wurden, wollen wir sicher nicht wieder. Das sollen und müssen freiwillige Angebote bleiben.

 Die Studie ist eine Ohrfeige für jeden engagierten Kollegen, jede Kollegin und eine Misskreditierung ihrer Anstrengungen. Ich wiederhole meine Forderung an die Berliner Schulverwaltung vom Beginn dieses Jahres (vgl. VBE-aktuell 2-3 2019, S. 30f.): Lasst endlich die Kolleginnen und Kollegen ihre verantwortungsvolle Arbeit in Ruhe machen und sorgen Sie für Entlastung sowie eine angemessene Bezahlung. „Unbedingt müssen die Klassenfrequenzen und die Stundenzahl sowie das Renteneintrittsalter gesenkt werden (kaum ein Kollege, eine Kollegin erreicht es)! Ansonsten wird die Situation noch prekärer zum Nachteil der Kinder und Jugendlichen. (…) Die Schulverwaltung sollte endlich einmal die nicht leichte und verantwortungsvolle Arbeit der Kolleginnen und Kollegen wertschätzen, sie in Ruhe lassen und ihnen vertrauensvoll entgegen kommen. Viele arbeiten über ihr Limit hinaus und versuchen trotz allem dem gesteigerten Aufwand gerecht zu werden.“

Ralf Kennis, Sekundarschulrektor i.Ur. 

ralf@kennis.de

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