Gewaltfreie Verteidigung

Gewaltfreie Verteidigung

Unter der Überschrift „Können wir uns nur mit Waffen verteidigen?“ veröffentlichte DIE ZEIT einen Artikel des Philosophen Olaf L. Müller (Zeit N°43 v. 9. Oktober 2025), den ich für bemerkenswert halte, weil er das anspricht, was ich in meinen Artikeln seit mehreren Jahren versuche sowohl argumentativ als auch der Statistik und wissenschaftlichen Erhebungen folgend zu belegen ohne in utopistische bzw. unrealistische Statements abzudriften.

Zur aktuellen „Bedrohungs- und Gefährdungssituation“ in der EU, die herbeigeredet und m.M.n. stark überbewertet wird, baut die entsprechende Lobby (Militärs, Politiker und Politikerinnen) ein Szenario auf, dem zu widersprechen kaum ein Akteur sich anscheinend in der Lage fühlt. Immer mehr und immer gefährlichere Waffensysteme sollen das Abschreckungspotenzial erhöhen, der Wehrdienst wird wieder eingeführt, usw. Seit Jahren schreibe ich dagegen an ohne mich den Parteien anzubiedern, die Russland hofieren: Friedenstüchtig zu werden ohne Aufrüstung. Hier nun ein erfreulicher, hoffnungsvoller Essay, in dem die Chancen des gewaltfreien Widerstands eine „große Erfolgsquote“ zugeschrieben werden sowie: „Es gibt nämlich (…) eine Vielfalt gewaltfreier Aktionsformen, die sich stetig weiter entwickeln und sowohl an die Situation als auch an die Möglichkeiten des jeweiligen Akteurs anpassen lassen.“ Müller zitiert namhafte Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler (nicht nur Gandhi, Nelson Mandela oder Martin Luther King, die zweifellos einen großen Einfluss auf die Friedensbewegungen weltweit hatten und noch haben; vgl. dazu Palaver, W.: Für den Frieden kämpfen). Ansätze, die der „Überlegenheit des gewaltfreien Widerstands das Wort“ gaben sowie Beispiele für Gesellschaften werden angeführt, „die sich gewaltfrei den Klauen der Tyrannei zu entwinden wussten“. Müller bezeichnet die Reaktionen von Politikern und NATO als falsch, zitiert Chenoweth, Semelin und andere, die dem gewaltfreien Widerstand fast immer eine größere Erfolgsaussicht bescheinigen, wenn er im Vorfeld von Krieg und Unterdrückung systematisch eingeübt und vorbereitet würde. Die Welt benötigt Menschen, die nicht dem Pessimismus nachgeben, sondern gemeinsam mit Vielen diese gewaltfreien Argumente im Gepäck haben, damit wir nicht in eine weitere Katastrophe hinein schlittern. Dazu gehört, nie das Gespräch abreißen zu lassen ohne das eigene Rückgrat aufzugeben. Müller führt keine abstrakten bzw. komplizierten philosophischen Konstrukte oder idealisierte Utopien an, sondern begründet Gewaltfreiheit durch Darstellung konkreter Aktionen in der Vergangenheit. Dabei vergißt er nicht, dass „der gewaltfreie Arm unseres Verteidigungssystems (…) in die gesamte Gesellschaft hineinwirken müsste und (…) zuallererst auf die Stärkung ihrer Widerstandskraft“ setzen müsste. Also Verteidigung und Widerstand aber ohne Waffen!

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