Gendern

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Über das Gendern

„Sprache ist nicht nur Erkenntnisinstrument, sondern auch wichtigstes Kommunikationsmittel; sie prägt unser Denken und wird umgekehrt von diesem geprägt“ (uni-regensburg.de).
Sie ist aber auch „ein Herrschaftsmittel. Wer bestimmt, was gesagt oder geschrieben werden darf und in welcher Form, hat Macht über die Gesellschaft“
(Eric Gujer, Chefredakteur der «Neuen Zürcher Zeitung», 12.03.2021). Stichwort: Meinungskolonialismus.

Die im Netz vorzufindenden „Leitfäden zur Verwendung einer gendergerechten Sprache“ (vgl. uni-regensburg.de), insbesondere einige Anwendungsbeispiele (s.u.) nehmen teilweise skurrile Formen an. Verhält es sich wirklich so, dass eine geschlechtergerechte Sprache ein „Instrument zur Verwirklichung von Chancengleichheit und Gleichstellung“ darstellt?

Hier ein Versuch der Entideologisierung und Versachlichung dieser emotional aufgeladenen Diskussion.

„Die Endung -er im Deutschen, die so viel zu reden gibt, ist bloss eine Markierung: Sie macht aus einem Menschen, der lehrt, einen Lehrer. «Lehrer» ist, sprachwissenschaftlich betrachtet, nichts anderes als eine reine Funktionsbezeichnung, ohne allen Bezug zum biologischen Geschlecht. Das generische Maskulinum setzt also nicht Mann und Mensch gleich (und erniedrigt Frauen zu Un- oder Untermenschen), sondern es verhält sich gerade umgekehrt: Mit «Lehrer» ist ohne kontextuelle Angaben erst mal nur der Beruf gemeint. Ist hingegen von einer «Lehrerin» die Rede, sind zwingend sowohl Beruf als auch das biologische Geschlecht genannt.

Doch wie konnte dann das Missverständnis entstehen, dass das generische Maskulinum die Frauen unsichtbar mache, also ausschliesse, also diskriminiere? Es geht um einen Kurzschluss – und eine zweifelhafte sprachphilosophische Prämisse. Ja, bis vor kurzem waren Frauen in vielen Bereichen unsichtbar. Aber nicht aufgrund mangelnder Wortformen, sondern wegen sozialer Konventionen. Und nein, wer die Sprache per Dekret verbiegt, ändert dadurch nicht die soziale Wirklichkeit, sondern betreibt bloss Machtpolitik im Dienste der eigenen Agenda“ (René Scheu, NZZ, 4.10.2019).

Der Nachrichtensprecherin Jana Pareigis wurde allgemein applaudiert, Kritik gab es am Gebrauch der Gender-Sprachpause. Einer schrieb dem Tagesspiegel mit Blick auf eine Majorität in der Bevölkerung, die diese Sprachpraxis ablehnt: „Hier wird also im gebührenfinanzierten Fernsehen der demokratische Mehrheitswille ignoriert, um einer sprachjakobinischen Ideologie den Weg zu bereiten. Deshalb war die Premiere der Frau Pareigis auch nicht ,souverän und seriös’, sondern einfach nur überheblich und übel.“ Das Urteil ist überhart, es übersieht, ja missachtet die eigentliche Leistung eines überaus geglückten Parforceritts durch die Nachrichtenwelt – zugleich fordert das Urteil heraus. Weil es unterstreicht, wie die Gendersprache eine längst erregte Gesellschaft weiter erregen, aufregen und spalten kann. Nach der Diskussion um die Impfpflicht kommt gleich die Debatte um das Binnen-I.

Weil das Urteil eine Grundsätzlichkeit übersieht: Sprache gehört allen oder keinem, nicht Jana Pareigis, nicht dem Kritiker, nicht Joachim Huber. Wer immer aus seinem individuellen Sprachgebrauch eine allgemeine Ideologie abzieht, der schwingt sich zum Sprachpapst auf, der bedroht alle anderen mit Exmatrikulation und redet im Extrem der Inquisition der Sprache das Wort – also dem Schweigen. Meine Sprache, Deine Sprache, Ihre Sprache: Ich möchte mich in meiner Sprache ausdrücken, mich darin wiederfinden, sie ist im persönlichen wie gesellschaftlichen Miteinander das, was mich ausmacht. Meine Sprache gehört mir. Die Sprache von Jana Pareigis gehört Jana Pareigis. Daran gibt es nichts zu kritisieren. In keiner Sprache.“

In Frankreich ist die Debatte um gendergerechte bzw. inklusive Sprache im Jahr 2021 neu entfacht. Ein renommiertes Wörterbuch führte ein geschlechtsneutrales Personalpronomen für die dritte Person ein, Frankreichs Bildungsminister Jean-Michel Blanquer sprach ein Verbot der gendergerechten Schriftsprache für die Schulen aus. Die in Frankreich verwendeten Pünktchenwörter behinderten das Lesen, ein Argument, das man auch in Deutschland findet: Der Lesefluss werde gestört, das Schriftbild „verhunzt“. Ich erspare es dem Leser, hier die unterschiedlichen Formen geschlechtsindifferenter Bezeichnungen, die Verwendung der Partizipien und Adjektive sowie die zahllosen Umformulierungen aufzulisten. Darunter befinden sich grammatikalische Fehler: Fahrradfahrende können nur dann als solche bezeichnet werden, wenn sie ad hoc auf dem Rad in Bewegung sind, noch nicht einmal, wenn sie gerade vor einer Ampel halten. In dem Augenblick sind sie nämlich keine Fahrende.

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