Doktortitel, sind sie noch erstrebenswert?

Doktortitel, sind sie noch erstrebenswert?

Die zum Teil widersprüchlichen Meinungen der Wissenschaftscommunity (s. Tagesspiegel Nr. 21 v. 04. März 2013)  dokumentieren, wie unterschiedlich und kontrovers das Verfahren gegen Schavan aus der Perspektive des jeweiligen Fachgebietes gesehen und beurteilt werden kann. Einig sind sich alle in einem Punkt: Die Einrichtung einer Zentralstelle für die Überprüfung wissenschaftlichen Fehlverhaltens wird abgelehnt. Die Begründungen dazu leuchten ein, jedoch schon bei der Frage der Feststellung von Textähnlichkeiten herrscht Uneinigkeit. Erst recht, wenn Zweifel darüber geäußert werden, was denn nun wirklich als ein Plagiat zu identifizieren sei (Dannemann). Handelt es sich um ein wörtlich abgeschriebenes Zitat, liegt der Sachverhalt auf der Hand. Kaum eine Doktorarbeit wird jedoch ohne Paraphrasierungen auskommen, jedenfalls nicht in den Geisteswissenschaften. Jeder, der schon einmal eine wissenschaftliche Abhandlung geschrieben hat, weiß, dass neben dem immensen Arbeitsaufwand aus der Vielzahl von Texten, die zu einer Doktorarbeit gelesen und durchgearbeitet werden müssen, Formulierungen im Gedächtnis haften bleiben, von denen man nachher nicht mehr weiß, wo sie gestanden haben. Newton sagte einmal: „Wir stehen auf den Schultern von Giganten. Deswegen können wir weit sehen.“ (Hier bin ich mir auch nicht sicher, ob ich wörtlich zitiert habe oder ob Newton das in ähnlicher Weise formulierte. Vielleicht habe ich ein Wort zu wenig oder eines zu viel zitiert oder die Anführungszeichen falsch gesetzt!) Damit wollte Newton sagen, dass unser Wissen geprägt ist von vielen Menschen, die vor uns schon nachgedacht haben und dass wir im Grunde wenig „aus uns selbst“ formulieren.

Welche Kriterien sollen Anwendung finden bei der Beurteilung von Plagiaten?  Standards können aufgestellt werden, ich bezweifle aber, dass die existierenden „Qualitätsstandards bei wissenschaftlichen Arbeiten“ einzuhalten ausreicht, um zu „einheitlichen Regeln für Promotionen gelangen“ zu können (Kempen). Und: Haben die zuständigen Gremien der Düsseldorfer Universität wirklich „alle wissenschaftlichen Standards eingehalten“ (Hartmann)? Die Problematik ist sehr komplex. Jedenfalls ist das Ganze dann völlig abwegig, wenn Vergleiche wie die mit einem Auto-Blitzer angestellt werden. An der Vermutung, dass 990 von 1000 Hochschullehrer Schavans Arbeit nicht durchgehen lassen würden (Rieble), ist ebenfalls Zweifel angebracht. Wenn noch nicht einmal eindeutig geklärt werden kann, was ein Plagiat in Wirklichkeit ist, dann ist die Frage berechtigt, ob Frau Schavan wirklich plagiiert hat. Die Wissenschaft hat Schaden erlitten, was aber noch viel schwerer wiegt: Hier sollte ein Mensch zerstört werden. Nicht umsonst titelt das Ausland (z.B. die New York Times), Deutschland sei ein Land der Missgunst geworden. Allen denjenigen, die Schavans Rücktritt forderten, wünsche ich nicht, was ihr zugemutet wurde. In meinen Augen ist an der Integrität von Frau Schavan kein Zweifel angebracht.

Ich persönlich bin froh, keine Doktorarbeit geschrieben zu haben, obwohl ich das schon einmal vorhatte. Genauso geht es einigen meiner Freunde.


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