Segeltörn 2015
Einhand von Gibraltar bis Lissabon
„We have no problems, we only have solutions.“
Nach über einer Woche Arbeiten am Schiff (u.A. Anbringen eines neuen Radarreflektors, Installation von zwei Solarpaneelen, Streichen des Unterwasserschiffs und Polieren des Rumpfes) heißt es endlich Leinen los am frühen Nachmittag in La Linea bei Gibraltar. Ziel: Lissabon. Von dort will ich weiter mit noch unbekannter Destination. Mein Schwager, der noch nie segelte, will für die nächste Teilstrecke mit an Bord. Wichtig ist für mich: Weatherrouting. 300 Seemeilen einhand liegen erst einmal vor dem Bug meines 28-Fuß-Schiffes GALATEA. Der Wetterbericht ist gut, die Tiefs ziehen weit im Norden über den Atlantik. Ich habe ein gutes Gefühl. In der Bucht von Algeciras weiche ich mehreren Berufsschiffen aus, um Kurs auf die Halbinsel von Tarifa zu nehmen. Angenehmer achterlicher Wind (Levante). Bald ist Reffen angesagt. Bei Tarifa wird der Wind stark. Ein Moment Unaufmerksamkeit, das Groß wird trotz des gesetzten Bullenstanders auf die andere Seite gedrückt. Patenthalse. Die Leine reißt. Ich hätte das Groß ganz herunternehmen und nur mit gereffter Genua weitersegeln sollen. Als der Leuchtturm von Tarifa achteraus wandert, ist alles wieder im Lot. No problem, der Schaden ist schnell repariert. Ich überlege, ob ich die Nacht im ehemaligen Piratenhafen von Barbate verbringe. In der Bucht muss ich jedoch in der Dämmerung einem langen Fischernetz ausweichen, so dass ich beschließe, die Nacht in gutem Abstand von der Küste durchzusegeln. Die Lichter werden angeschaltet, Kurs West wird abgesetzt. Kaffee habe ich noch in der Thermoskanne. Warme Kleidung,Taschenlampe, Kekse, Madeleines und Segeljacke werden bereit gelegt. Das brauche ich dann auch. Ich werde mit einem grandiosen Anblick belohnt: Der Leuchtturm von Trafalgar im Sonnenuntergang. Die erste Nacht einhand. Der Wind legt sich, der Motor schiebt mit reduzierter Marschgeschwindigkeit. Ich habe Zeit, bin nicht aufgeregt. Alle 20 Minuten bis halbe Stunde halte ich Ausschau, lege mich auf die Salonkoje. Um ca. 3 Uhr fällt das Aufstehen schwer, jedoch gebe ich nicht der Müdigkeit nach. Ich bewege mich zwar außerhalb der Schiffahrtsrouten, aber andere Segler sind auch unterwegs, denen ich um ca. 4 Uhr begegne. Er passiert in ca. 200 m Entfernung. Das ermahnt mich, aufmerksam zu bleiben. Auch mit Fischerbooten ist zu rechnen, die nicht immer ihr AIS eingeschaltet haben. Am Morgen Fortsetzung der Kurzschläfchen im Cockpit. Sowie ich das Cockpit mit einem Fuß betrete, wird die Lifeline, die an der Rettungsweste befestigt ist, eingepickt, auch am Tag. Dafür habe ich drei starke Augbügel im Cockpit angebracht, zwei davon direkt unterhalb des Niedergangs am Brückendeck. Das Frühstück ist eine Wohltat. Leichter Wind kommt auf, ich setze wieder die Segel und schalte den Motor aus, nehme Kurs auf Huelva. Nach 32 Stunden auf See und 130 zurückgelegten Seemeilen mache ich im Hafen Mazagon fest. Am Abend genieße ich die Tapas bei einem Bierchen. Am folgenden Morgen werden die Leinen losgemacht, nicht ohne gut gefrühstückt und geduscht zu haben. GALATEA und ich können den Kurs auf Faro nicht halten. Wir kreuzen auf. Erst gegen Abend ist der Leuchtturm von Faro gut sichtbar. Da ich jedoch die komplizierte Ansteuerung des mir unbekannten Hafens mit den vorgelagerten Sandbänken nicht riskieren will, ist die zweite Nacht auf See vorprogrammiert. Ohne Wind, mit leichtem Motorschub macht GALATEA 4 Knoten. Die Nacht verläuft ohne Komplikationen. Faro wird in ausreichendem Abstand passiert. Um Mitternacht haben wir den Leuchtturm querab. Am folgenden Tag erwartet uns ein Westwind geanau auf die Nase, der ganz allmählich zunimmt. Herrliches Kreuzen vor der Küste von Südportugal. Ich genieße es. Mein Schiff ist in Topform. Ca. zwei Seemeilen vor dem Hafen von Portimao nehme ich die Segel herunter, weil ich noch vor Sonnenuntergang dort festmachen will. Nach 31 Stunden und 121 Seemeilen liegen wir ruhig und glücklich in unserer Box. In diesem Hafen verbringe ich vier Nächte, mache einige Reparaturen, gehe an einem der schönsten Strände von Portugal baden, am Sonntag in die Kirche und genieße die südliche Sonne. Beim Verlassen des Hafens fotografiere ich die VESTAS, die beim Volvo Ocean Race durch einen Navigationsfehler auf einem Riff strandete. Der gleiche Fehler unterläuft auch mir zwei Tage später, jedoch glücklicherweise ohne verheerende Folgen. Die Windvorhersage am südöstlichsten Cap von Europa, dem berüchtigten Cabo de Sao Vicente, ist zwar nicht sehr günstig, ich mache die Leinen trotzdem los und segele nur 20 Meilen bis zur Baleeira-Bay, in der ich bei guten 6 Windstärken den Anker werfe. Hier, in der letzten Bucht vor dem Cap, die einigermaßen gut geschützt ist, will ich die Nacht verbringen, um die Rundung am nächsten Morgen zu wagen. Danach geht es bis Lissabon immer gen Norden, gegen den Wind und die Strömung an. Ankerwache. Dafür habe ich eine App, der ich jedoch nicht hundertprozentig traue. Der Wind lässt erst zum Morgen etwas nach. Der Anker hält. Das Ankeraufmanöver mit ganz leichtem Schub klappt hervorragend. Heraus aus der Bucht, empfängt uns gleich ein ruppiger Wind. Ich zog vorher bereits Stiefel und den Segelanzug an und die Kapuze weit über den Kopf, so dass nur noch die Augen frei bleiben. Das war auch notwendig, denn die See ist ziemlich ruppig. Immer wieder übernimmt GALATEA Wasser. Eine Gichtwolke nach der anderen bedeckt mich mehr und mehr mit Salz. Durch meine Brille sehe ich kaum noch etwas, denke schon ans Umkehren, aber nach der Rundung des Cabo de Sao Vicente werden die Bedingungen moderater. Nach dieser anstrengenden Rundung lege ich mich ein wenig im Cockpit hin. Einige Seemeilen nördlich des Caps passieren wir einen Felsen sehr dicht, zu dicht nach meinem Geschmack. Ich bemerke ihn erst, als er achteraus im Kielwasser langsam kleiner wird. Ein Schreck. Die Navionics-App zeigt ihn nicht an. Ich checke die Papierseekarte. Da ist er eingezeichnet und erst bei zwei weiteren Zooms hinein wird er auch auf der App sichtbar. Ich lerne: Man sollte der Elektronik nicht vertrauen. Nicht nur ich, sondern auch GALATEA hat einen Schutzengel. Die Segel bleiben den ganzen Tag unten, denn ich will den Hafen von Sines in 60 Seemeilen Entfernung noch heute erreichen und den Neerstrom nahe an der Küste ausnutzen. Erst gegen 23:30 Uhr machen wir an einem Steg vor dem Seenotrettungsboot fest. Ein Tag in Sines zum Einkaufen und Ausruhen. An dem provisorischen Liegeplatz darf GALATEA länsseit liegen bleiben. Nach einer weiteren Etappe und einer Nacht im Hafen Sesimbra laufen wir mit einem mitlaufenden Strom (kurzzeitig 18 Knoten – lt. GPS – hat mein stolzes 28 Fuß-Schiffchen noch nie geschafft!) in Lissabon ein. Da mein Schwager nur 14 Tage Urlaub hat, beschließe ich kurzerhand, die kleine Atlantiküberquerung bis zu den Azoren mit ihm zu wagen. Wir verholen von der Alcantara-Marina nach Cascais, wo wir noch eine Nacht verbringen, Diesel bunkern und gut essen gehen. Diese kurze Strecke soll auch ein kleiner Test sein, denn ich muss meinen unerfahrenen Mitsegler einweisen: Die wichtigsten Manöver, Sicherheitsanweisungen, usw.
My Atlantic Experience
Nach 10 Tagen auf hoher See haben wir auf den Azoren festgemacht. Das war nach über 30 Jahren Segelerfahrung im Mittelmeer mit der Familie mein längster Törn jetzt über den offenen Atlantischen Ozean. Blauwassersegeln pur. Es könnte eigentlich immer so weiter gehen. Festgemacht = angebunden. Nach 3, 4 oder spätestens 5 Tagen auf dem Meer denkt man an nichts anderes mehr als an sein Schiff und die Elemente. Man lässt alles hinter sich. Kommt eine dunkle Wolke mit Wind und Regen, egal, es wird gerefft, man wird nass, weiter geht’s. Immer dem Horizont entgegen. Die letzte Bastion, wo der Mensch Unabhängigkeit erfahren kann, das Losgelöstsein von allen Zwängen. Keiner schreibt etwas vor, du triffst deine Entscheidungen allein. Du kennst dein Baby, jeden Winkel, jede Eigenart deines Schiffes, seine Stärken und seine Schwächen. Du hast die Segel, die dich voran ziehen und zur Hilfe auch noch den Motor, diesen aber begrenzt. Zum Glück.
Ob bei über 25 Kn Wind und kleinster Besegelung oder bei einer guten Brise und Vollzeug, das Schiff zieht seine Bahn, du siehst die Spur, die sich in den Heckwellen verliert. Das Wasser rauscht am Rumpf entlang, die Wellen spritzen, das Schiff klettert die langgezogene Dünung hinauf und gleitet sogleich wieder ins Wellental hinab – Glücksmomente. Ich bin dankbar, so etwas erleben zu dürfen. Das zaubert auch meinem Mitsegler einen zufriedenen Ausdruck auf sein sonst so ernstes Gesicht. Das Schiff breitet seine Schwingen aus und gleitet über den Ozean. Ich sitze auf der hohen Kante und spüre jede Bewegung meines Babys, die Wellen geben den Takt vor, sie bestimmen den Ruderausschlag, werden ausgesteuert, ich schaue auf den Bug, der sich stetig hebt und senkt, fühle mich verbunden mit der Natur und den Elementen, ihnen ganz nah wie man es vielleicht nur als Bergsteiger empfinden kann. Manchmal kommt eine Welle über das Deck gewaschen, ich werde nass, bin nach einiger Zeit voller Salz, egal, weiter. Anderes Szenario: Wind über 25 Knoten, chaotischer Seegang mit Wellen aus verschiedenen Richtungen. Das Schiff wird hin und her geworfen. Meine Wache dauert schon eine Stunde länger als festgelegt, weil ich meinem unerfahrenen Mitsegler seine Wache bei diesen Bedingungen so komfortabel wie möglich gestalten möchte. Ich spiele bei fast ganz eingerollter Genua und drei Reffs im Groß mit der Segelstellung und dem Kurs, stelle beides so ein, dass der Kurs hoch am Wind noch einigermaßen beherrschbar ist und der Autopilot, der bisweilen auch an seine Grenzen kommt, es schafft. Beide machen ihre Wachen immer zuverlässig. Eine große Entlastung für mich, auch wenn ich ab und zu nachts geweckt werde, weil Positionslichter anderer Schiffe sich nähern (selten) oder der Wind seine Richtung und Stärke ändert. Einen kleinen Kümo, der von achtern aufkommt und auf Kollisionskurs mit uns liegt, muss ich anfunken. Die Antwort und seine Kursänderung kommen prompt.
Alle Gewohnheiten als Landgefangener werden über Bord geworfen. Nach nur zwei Stunden oder weniger Schlaf stehe ich todmüde auf und bin sofort wieder voll da, weil ein Segel- oder Kurswechsel ansteht. Ich kann mich ja gleich wieder ausruhen, schlafe vielleicht draußen im Cockpit ein. So werden meine Kräfte geschont, sollten sie gleich wieder gebraucht werden. Manchmal ist ständiges Aus- und Einreffen angesagt. Jede Bewegung, jeder Schritt an Bord kosten das Doppelte der Zeit und viel Kraft. Gewöhnungssache. Ich genieße auch das.
Mein Mitsegler sagt: „Man sieht nichts.“ Er sieht sowieso überall Probleme, kann sich nicht auf dieses so andere Leben einlassen. Ich sage: „Du siehst das Meer, die Wellen, den Himmel, die Wolken. Das ist doch sehr viel.“ Es gibt Menschen, die sehen das Glas immer halb leer und andere, die sehen es halb voll. Zu denen gehöre ich, Gott sei Dank. Es gibt natürlich auch Augenblicke, in denen ich mich frage, warum ich mir das alles antue. Ich erfahre meine Grenzen, doch die Glücksmomente machen alles wieder wett. Derartige Erfahrungen wünsche ich allen Workaholics, jedem, der in seiner Businesswelt gefangen ist, abhängig, ein Sklave der Arbeitswelt. Leute, es gibt noch etwas anderes, Befreiendes, Erfüllenderes. Mein Mitsegler befürchtet, seine Termine, die er in zwei Wochen hat, nicht wahrnehmen zu können, weil wir zweimal eine leichte nur einige Stunden dauernde Flaute erleben. Moderne Sklaverei, der sich viele auch noch freiwillig aussetzen. Schrecklich! Hier auf See gibt es etwas ganz anderes: Unabhängigkeit, keine Chefs, die einem sagen, was man zu tun oder zu lassen hat, keine Zwänge. Keine Erwartungen erfüllen müssen, auch nicht die an sich selbst. Allein die See bestimmt den Rhythmus. Taucht ein „Problem“ auf, wird es gelöst. Mein Motto: We have no problems, we only have solutions. Das habe ich jeden Tag mindestens dreimal meinem Mitsegler gegenüber wiederholt. Ich bin nicht sicher, ob er es verstanden hat. Er sagt, dass er gerne noch einmal mitkommen würde
ca. 1300 sm, 19 Seetage, 11 Nächte auf See, 1 Nacht vor Anker