„Umdenken oder Untergehen“, Auf der Suche nach einem neuen Bildungsbegriff und Die Wirtschaftswissenschaft entdeckt die ökonomischen Vorteile sozialer Kompetenz

„Umdenken oder Untergehen“, Auf der Suche nach einem neuen Bildungsbegriff und Die Wirtschaftswissenschaft entdeckt die ökonomischen Vorteile sozialer Kompetenz

Die ZEIT veröffentlichte in ihrer Ausgabe N°44 vom 26. Oktober 2017 zwei bemerkenswerte Artikel:

  1. Auf der Suche nach einem neuen Bildungsbegriff Titelt Probst: „Umdenken oder untergehen!“[1] Probst wendet sich dem Entwurf eines neuen Bildungsideals zu, gegen Selbstbezug und Autonomie, Begriffe, die seit der Aufklärung die Bildung charakterisieren. Dieses „neue“ Ideal basiere auf unserer Lebenspraxis, in der alles mit allem verbunden ist“. Die Rede sei von einer öko-sozialen Wende nach Hörl, in der es um Schwarmintelligenz gehe, „um Empfangen und Senden, Teilen und Weiterleiten, Modifizieren und Montieren“, um „Stricken von Netzen“. Alles andere als ein für alle Mal festgelegte, unverrückbar vorgefertigte Konzepte. „Gebildet sein müsse heute heißen: sich berühren lassen von der Mitwelt, ein Verständnis des Lebensnetzes, das menschliche und nichtmenschliche Akteure fortwährend koproduzieren. (…)  Es würde eine Frage der Bildung sein, welchen Weg wir einschlagen. Eine Frage auch jener nun nötig gewordenen »Elementarbildung zur Industrie«, die Johann Heinrich Pestalozzi bereits zu Beginn des 19. Jahrhunderts imaginierte. Denn die Welt könne im Sinne des Schönen, des Seltenen, der Schonung und des Miteinanders genutzt und programmiert werden – oder eben nicht.“ Diese „Erziehung zur Postdemokratie“ würde das Bewusstsein dafür schärfen, wann ein Produkt oder Programm „auf Kosten der menschlichen oder nichtmenschlichen Mitwelt hergestellt oder eingesetzt wird oder sich gegen sie verschließet“.
  2. Es überrascht vielleicht, dass gerade die Wirtschaftswissenschaft entdeckt, welche ökonomischen Vorteile das Mitgefühl und die Empathie als Kernkompetenzen auch für das Wohlbefinden der Menschen untereinander mitbringt. Zwischenmenschlichkeit, anständig und hilfreich sein, wird neu verortet. Singer, Direktorin für soziale Neurowissenschaft am Max-Planck-Institut für Kognitions- und Neurowissenschaften, sagt, dass wissenschaftlich fundierte Programme entwickelt werden, „um Qualitäten wie Mitgefühl auf der Welt zu stärken“. Die Einnahme der Perspektive des Gesprächspartners ist eine Komponente. Prosoziale Kompetenzen, in denen sich Kinder mehr als zuvor um andere kümmern, besser mit ihnen zusammenarbeiten und mit mehr Vertrauen auf sie zugehen, gelten als Schlüsselqualifikationen auf dem Arbeitsmarkt. Ökonomie wird begriffen als Wissenschaft der Charakterbildung (Ernst Fehr). Die Kernfrage lautet: Welche Art von Menschen produziert eine Gesellschaft? Lässt der (Leistungs-)Druck nach (Wettbewerb fördere Aggressionen), weitet sich der Blick, und wir nehmen die Umwelt ganz anders wahr. Das Mitgefühl gewinnt die Oberhand. Was Menschen antreibe und was sie wollen, sagt Snower, entstehe überhaupt erst im Miteinander. Die Weisheit der Masse zähle mehr als die Vision des Vorgesetzten.[2]

Emotionale Kompetenzen zu erwerben und emotionale Intelligenz beim Kind zu entwickeln und zu fördern, in der Wissensgesellschaft oft unterbewertet und vernachlässigt und von Kant als „Urteilsfähigkeit“ bezeichnet, stellt gerade in der heutigen Zeit m.E. eine Schlüsselqualifikation dar, ist eine der herausragenden erzieherischen Herausforderungen zur Befriedung der Welt (in erster Linie der eigenen Umwelt).

Die Empathieforschung sagt: „(…) nicht nur die Wissensinhalte verdienen eine Überprüfung auf gezielte Empathieschulung. Auch in der Didaktik (also der Theorie und Praxis des Lehrens und Lernens) bedarf es eines Umdenkens. So ergänzt und festigt die einfühlende Beziehung zwischen Lehrpersonal und Schülern die vermittelten Inhalte auf einer formal-theoretischen Ebene. Deshalb der Aufruf an Politik und Entscheidungsträger im Bildungsbereich: Im didaktischen Dreieck Lehrer – Schüler – Lehrinhalt muss Empathie neu verortet und nachhaltig verankert werden. Eine Bildungssozialisation, in der bereits Kleinstkinder auf Konkurrenz und Leistung gedrillt werden, hinterlässt erheblichen Schaden in der Selbst- und Fremdwahrnehmung, der sich ein Leben lang auswirken kann.“[3]

[1] Probst, Maximilian, in: Die Zeit N°44 v. 26. Oktober 2017, S. 66f.

[2] vgl. Heuser, Uwe Jean: Wir statt Gier, in: Die Zeit N°44 v. 26. Oktober 2017, S. 21f, Artikel zum Buch: Heuser, Uwe Jean: Kapitalismus inklusive, So können wir den Kampf gegen die Populisten gewinnen, Edition Körber, Hamburg 2017.

[3] http://www.das-empathische-gehirn.de/blog/die-neue-bildungsstarre-oder-empathie-als-erziehungsziel-und-stil/

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